Rezension zu: "Meer-Maid"

von Helmut ZoblDatum hinzugefügt: Dienstag, 30. August 2016Etliche Gedichte in diesem Band umkreisen Paarbeziehungen und die Geschlechterproblematik. Man bekommt einen weiblichen Blick auf diese Thematik geboten, was schon im Titel der Sammlung angekündigt ist: Meer-Maid. Einige Gedichte stellen über den Titel und den Inhalt intertextuelle Bezüge zu Undine von Fouquet, Ingeborg Bachmann und der Meerjungfrau von Hans Christian Andersen her. Im Unterschied zu den Vorgängerinnen zerbricht die Nixe in diesen Gedichten jedoch nicht an der Männerwelt; sie verharrt in ihrem Element und fordert stattdessen das männliche Gegenüber auf, „ins Nass“ reinzuspringen (Meer-Maid, Meer-Maid — Rebound). Ein Kontrapunkt zur Tragik der früheren Geschöpfe, die sich dem Mann gegenüber als unvollkommen empfanden, wird somit gesetzt: diese Wasserwesen behaupten sich, wobei allerdings anzumerken ist, dass die Selbstbehauptung durch Humor und sprachliche Effekte (die Nixe ist im Wasser) ironisch relativiert wird: „Er... kann küssen/ wie `n Fisch/ und ich sag/ “Isch liebe disch““ (Meer-Maid). Eine wiederkehrende Persona aus der Literatur ist Pippi Langstrumpf, die das Image der selbstbestimmten Frau verstärkt; die Verniedlichung „Pippi“ wird aber zurückgewiesen: „„ITS PIPPILOTTA!“ und jede hat Respekt verdient.“ (Sie). In einigen Gedichten wird dieser Forderung Nachdruck verliehen, indem das lyrische Ich sich auf die Figur einer Löwin bzw. Raubkatze projiziert: „Wie ein Raubtier will ich/ so bald wie möglich laufen/ damit sofort klar ist:/ bin weder zu zähmen noch zu kaufen.“ (Knoten).
Die Männer erweisen sich mehrfach als zaudernd und bindungsscheu: „Auf deiner goldenen Bank/ ist sein Liegeplatz,/ mit extra langer Laufzeit,/ doch er sagt nur: „...vielleicht““ (SUPERZAHL) und unfähig zu Abenteuer und Hingabe: „Wenn du deine Welt neu streichen willst,/ dann bin ich deine. Doch/ ich hab gemerkt: das willst du kaum.“ (ORANGE). Das heißt aber nicht, dass in den Gedichten über Paarbeziehungen das männliche Wesen verachtet wird. Im Gegenteil, sexuelles Begehren wird in ZUCKER! mit Witz und Phantasie als ein süßer Gaumengenuss geschildert, wobei das Wortfeld „Süßstoffe“ erschöpfend abgearbeitet wird. Körperliches Verlangen kommt in diesem Debütband wiederholt zum Ausdruck: „Gedanken dampfen,/ mein Herzkörper aufgedreht“(Herumdoktern). In Ärmelkanal dagegen klagt das lyrische Ich über die plötzliche „Funkstille“ in einer innigen Beziehung und ihre Entscheidung, sie zu beenden: „Ich muss bei mir bleiben, kann nicht zerlaufen!/ Muss weiter trennen. / Wein, wie ein zurückgehaltenenes Kind./ Ich halt nicht ein!/ Auch wenn es weh tut.“ In Perfektion ist Sehnsucht deutlich spürbar: Beim imaginierten Spaziergang eines sich umfassenden Paares verbildlicht sich Harmonie und das Einssein von Mann und Frau.
Gesellschaftskritisches blitzt auf in den Gedichten Sprechgesang auf München, Mein Gefühl ist zu groß für diese Stadt und insbesondere in Sie. Während in den ersten beiden das Wohlstands- und Bildungsbürgertum, Modesucht, und die persönlich empfundene bayrische Enge Ziel der Kritik ist („Befrei mich vom nächsten Dirndlknopf“), richtet sich der Blick in Sie auf die Männerdominanz als gesellschaftliches Phänomen, die sich in der Herabwertung, Unterdrückung und Erniedrigung der Frau manifestiert: „Daheim surfst du stundenlang/ findest einen Zuwachs von Menschenhandel,/ „der Puff Europas“ das ist dein Land.“ (Sie).
Gewiss sind Ironie, Humor und Witz Bestandteile der Poetik dieser Gedichte. Humor beispielsweise in der Auswahl von Metaphern und Bildern. Die Loreley verzichtet nur zu gern auf ihre Lockfunktion für Schiffer und ist sich ihres Lieds, wie auch ihrer Umgebung, überdrüssig: „Ganz oben auf Fels so unbequem drapiert,/ Mein Haar sieht windig aus, und nie wie frisch frisiert.“ Hinter dem Humor verbirgt sich die Botschaft: diese Frau ist nicht gewillt, die von der Gesellschaft ihr zugedachten Rollenerwartungen zu erfüllen. In GOLDSTÜCK wird eingangs der schlichte Wunsch „Einmal das Goldstück sein“, geäußert, der dann aber sofort in der zweiten Zeile mit humoristischem Effekt ins Maßlose gesteigert wird: „und zwar für immer.“
Ein weiteres Merkmal dieser Lyrik ist der Einsatz von bekannten Song-, Film-und Romantiteln, die von Bertold Brecht und Kurt Weils Song Surabaya Johnny über das Lied Natural Woman von Aretha Franklin bis zum Roman Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins von Milan Kundera reichen. Diese und andere Titel, z.B. Sugar Man, dienen der assoziativen Beschreibung von Figuren in den Gedichten. Der Gebrauch einer Zeile („You can tell by the way I use my walk“) aus dem Song Staying Alive der Bee Gees verleiht dem Gedicht Endzeitstimmung eine treffende düstere Folie. Bei Zu groß für diese Stadt spricht das lyrische Ich den Wunsch nach Sugar Man zum Früstück aus, dort zu sein, wo „Industrieromantik“ zu finden und die „Bavaria“ im Rücken ist. Der Text des Lieds handelt von Drogen, die der Sugarman auf seinem Zauberboot bringt. Was der Autorin damit gelingt, ist Atmosphärisches um die Stadt Detroit und die Motown-Musik als Gegenpol zu München zu evozieren.
Wortschöpfungen und Wortentstellungen bereichern die Diktion der Lyrik. z.B., „kannst du nicht CRAZY sein, Fühlenlebenspaß“ (GHETTO ADONIS) und „Einfach weiter zottelig meilenstiefeln,/ bis der Prinz meine Glaspantoffeln anzieht/ und mir nachvollzieht.“ (GOLDSTÜCK). Die Beispiele zeugen von dem Streben, dem lyrischen Ausdruck neue Möglichkeiten zu eröffnen, Konventionen abzustreifen, wodurch die Diktion Eigenschaften von Pippi Langstrumpf, die leitmotivisch durch den Gedichtband geistert, widerspiegelt. „Nachvollziehen“ ist eine geniale Wortprägung, die mittels der Mehrdeutigkeit sowohl auf die Handlung in Aschenbrödel wie auf eine subtile Umkehrung der gesellschaftlichen Hierarchie hinweist. Ein weiteres hervorstechendes sprachliches Merkmal von Ruprechts Lyrik ist der häufige Gebrauch des Englischen. Damit stellt die Autorin, die in den USA studierte, Bezüge zur Popkultur her, zugleich erweitert sie damit ihre Ausdrucksmöglichkeiten. Das Englische komplettiert häufig ein Reimpaar; einfallsreich dient es als (gedachter) Wunschkommentar zu den deutschsprachigen Handlungen und Zuständen rund um die Liebe, von denen das Gedicht Im Scheinwerferlicht durchs Bild laufen handelt. Schlussendlich liefert es häufig das mot juste, da wo das deutsche Wort nicht die gleiche Wucht haben würde: Ein Beispiel, und wahrscheinlich nicht einmal das Beste: „Egal, yeah yeah, du bist einfach now and there/ doch dann wünscht du ihn her“(SUPERZAHL).
Mit diesem Band gelingt der Performance-Poetin Franziska Ruprecht ein beachtenswertes Werk Wortkunst.
Die Autorin von Meer-Maid, Franziska Ruprecht, bezeichnet sich als Performance-Poetin, sie spricht ihre Texte vor einem Publikum, oft mit musikalischer Begleitung. Dieser Aspekt ihrer Gedichtkunst, der sich im Buch zum Teil in der Typografie niederschlägt, konnte in der Rezension aus geographischen Gründen nicht gewürdigt werden.

H.Zobl, Carleton University, Canada

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